Das Ende des Vertragsnaturschutzes

Der Streit währt schon lan­ge, nun ist er ent­schie­den. Auf der einen Sei­te stan­den die Land­wir­te, die sich alle Natur­schutz­maß­nah­men auf ihren Flä­chen vom Steu­er­zah­ler fürst­lich beloh­nen las­sen woll­ten, unter­stützt von agro­af­fi­nen Natur­schüt­zern, die mit dem Scheck­buch durch die Land­schaft lie­fen und jede Hecke und jeden Tüm­pel in der aus­ge­räum­ten Agrar­land­schaft hono­rie­ren woll­ten. In den fet­ten Jah­ren funk­tio­nier­te das ganz gut, Geld gab es – jeden­falls vir­tu­ell – im Über­fluss, und auch die Land­wir­te soll­ten ihren Anteil dar­an haben. Aber in den mage­ren Jah­ren, die nach bibli­scher Erfah­rung auf die fet­ten fol­gen, ist eben kein Geld mehr für den Natur­schutz, einer offen­sicht­li­chen Luxus­an­ge­le­gen­heit, vorhanden.
Deut­lich wird das aktu­ell an den bun­des­weit rund 1,3 Mio. Hekt­ar öko­lo­gi­sche Vor­rang­flä­chen in Deutsch­land, die die Land­wir­te bis­her unge­nutzt las­sen muss­ten, um die EU-Agrar­­för­­de­rung zu erhal­ten. Der bru­ta­le Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne und der damit ver­bun­de­ne Man­gel an Lebens- und Fut­ter­mit­teln, per­spek­ti­visch auch an fos­si­len Ener­gie­trä­gern, füh­ren nun zum Abbruch die­ser Natur­schutz­maß­nah­men. Künf­tig dür­fen die­se Flä­chen auch für den Getrei­de­an­bau genutzt wer­den, wenn auch nur als Fut­ter­mit­tel. Sinn­voll und not­wen­dig ist das alles nicht. Die­se öko­lo­gi­schen Vor­rang­flä­chen machen nur einen win­zi­gen Bruch­teil der land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che in Deutsch­land aus. Gut die Hälf­te der deut­schen Getrei­de­pro­duk­ti­on übri­gens als Tier­fut­ter ver­wer­tet. Für die mensch­li­che Ernäh­rung haben die öko­lo­gi­schen Vor­rang­flä­chen also kei­ner­lei Bedeu­tung. Die Dänen waren da sei­ner­zeit schlau­er: Zum Beginn des 1. Welt­krie­ges 1914 haben sie als größ­ter Schwei­ne­hal­ter Euro­pas rasch ihren Bors­ten­vieh­be­stand geschlach­tet und auf­ge­fut­tert. Danach konn­ten sie das Schwei­ne­fut­ter für die Volks­er­näh­rung nut­zen und sind – anders als Deutsch­land – gut durch die Hun­ger­jah­re gekommen.
Dar­über hin­aus wer­den knapp zehn Pro­zent der Welt­ge­trei­de­ern­te nicht für Lebens- und Fut­ter­mit­tel, son­dern für die Pro­duk­ti­on von Bio­kraft­stof­fen ver­wen­det. Allein in Deutsch­land die­nen fünf Pro­zent der Acker­flä­che der Bio­sprit­pro­duk­ti­on. Die Welt­hun­ger­hil­fe for­dert zu Recht, hier umzu­steu­ern und bei­spiels­wei­se den Bei­misch­an­teil von zehn Pro­zent bei dem Ben­zin E10 auf­zu­ge­ben. Es passt nicht in die Zeit, auf guten land­wirt­schaft­li­chen Stand­or­ten Ener­gie­pflan­zen anzu­bau­en, damit rei­che Leu­te mit schwe­ren Fahr­zeu­gen angeb­lich öko­lo­gisch durch die Gegend fah­ren können.
Der Ver­trags­na­tur­schutz hat sich also schnel­ler als gedacht in Luft auf­ge­löst. Ein Weg zurück wird lang und beschwer­lich, zumal auch die gleich­zei­tig vor­an­ge­trie­be­ne Ener­gie­wen­de unglaub­lich vie­le Flä­chen for­dert, zwar nicht mehr für den Braun­koh­le­ta­ge­bau, jetzt aber für die Wind­kraft­an­la­gen mit ihren gewal­ti­gen Fun­da­men­ten und lan­gen Zuwe­gun­gen oder die über­all in die Land­schaft gestell­ten Foto­­­vol­­ta­ik-Anla­­gen. Die Land­wir­te bekom­men dafür weit mehr Geld, als der Ver­trags­na­tur­schutz ihnen je bie­ten kann. Land­wir­te sind Betriebs­wir­te, sie wer­den sich für mehr Geld ent­schei­den. Arten­schutz, oder wie man es noch schö­ner grie­chisch-latei­­nisch auch sagen kann, Bio­di­ver­si­täts­schutz spie­len da nur noch eine Nebenrolle.
Die Par­tei Bünd­nis 90/Die Grü­nen hat sich in dem unbe­streit­ba­ren Gegen­satz zwi­schen Arten­schutz und För­de­rung der Wind­ener­gie für die Wind­ener­gie ent­schie­den. In einem von den bei­den grü­nen Bun­des­mi­nis­tern für Wirt­schaft und Umwelt, Robert Habeck und Stef­fi Lem­ke im April 2022 vor­ge­leg­ten Eck­punk­te­pa­pier wer­den nur noch 16 Brut­vo­gel­ar­ten als für die Wind­kraft­pla­nung rele­van­te Arten auf­ge­führt. In Bran­den­burg bei­spiels­wei­se waren das bis­her zusätz­lich auch Kra­ni­che, Rohr- und Zwerg­dom­mel, Brach­vo­gel, Kampf­läu­fer, Rot­schen­kel, Wach­tel­kö­nig und Ufer­schnep­fe, außer­dem Sing- und Zwerg­schwan, Birk- und Auer­hüh­ner, sowie die Groß­trap­pe. Die­se erfah­ren nun im Eck­punk­te­pa­pier der bei­den Bun­des­mi­nis­ter kei­ne Berück­sich­ti­gung mehr. Immer­hin für Fle­der­mäu­se dür­fen die Bun­des­län­der auch wei­ter­hin eige­ne Rege­lun­gen schaf­fen, für Vögel nicht mehr, wegen dem „über­ra­gen­den öffent­li­chen Inter­es­se“ der Wind­ener­gie. Wind­ener­gie­an­la­gen sol­len künf­tig auch wei­ter­hin im Wald auf­ge­stellt wer­den, der ohne­hin unter der kli­ma­wan­del­be­ding­ten Tro­cken­heit ächzt und stöhnt und in ihrer Fol­ge von Schäd­lings­be­fall und Wind­wurf bedroht ist. Nun wird er zusätz­lich durch die zahl­rei­chen, ver­fes­tig­ten Zuwe­gun­gen auf­ge­bro­chen und muss die gro­ßen und schwe­ren Beton­fun­da­men­te in sei­nem Boden auf­neh­men. Neu nach dem Eck­punk­te­pa­pier der bei­den „grü­nen“ Bun­des­mi­nis­ter ist hin­ge­gen, dass künf­tig auch in Land­schafts­schutz­ge­bie­ten (LSGs) flä­chen­de­ckend Wind­kraft­an­la­gen mög­lich sein sol­len. Aus­ge­nom­men sind künf­tig nur noch NATURA 2000-Gebie­­te, sowie Wel­t­­kul­­tur- und Naturerbestätten.
Noch aber kann sich der Eigen­tü­mer gegen Win­d­­kraft- und Foto­­­vol­­ta­ik-Anla­­gen auf sei­nem Grund und Boden weh­ren, pri­va­te Eigen­tü­mer von Wald und Feld wer­den es wegen der enorm zu erwar­ten­den Gewin­ne eher nicht sein. Hier kom­men nun gemein­nüt­zi­ge Ver­ei­ne, Ver­bän­de und Stif­tun­gen ins Spiel. Der gemein­nüt­zi­ge Ver­ein der Freun­de des Deutsch-Pol­­ni­­schen Euro­­pa-Natio­nal­­parks Unte­res Oder­tal e.V. (Natio­nal­park­ver­ein) bei­spiels­wei­se gestat­tet auf sei­nen Flä­chen die Auf­stel­lung von Wind­rä­dern nur außer­halb von Schutz­ge­bie­ten aller Art, mit gehö­ri­gem Abstän­den zu die­sen, außer­halb von Wald und im not­we­ni­gen Abstand von wich­ti­gen Brut­plät­zen sel­te­ner Vögel. Auf sei­nen land- und forst­wirt­schaft­li­chen Flä­chen dür­fen kei­ne Foto­­­vol­­ta­ik-Anla­­gen auf­ge­stellt wer­den. Sie gehö­ren nach Mei­nung des Natio­nal­park­ver­eins auf ver­sie­gel­te Flä­chen und auf die Dächer, von denen die meis­ten in Deutsch­land ener­ge­tisch noch unge­nutzt sind.
Die Grü­nen ver­su­chen wie­der ein­mal zwei Flie­gen mit einer Klap­pe zu schla­gen und Foto­­­vol­­ta­ik-Anla­­gen auf wie­der­vernäss­ten Nie­der­moor­stand­or­ten zu för­dern, sozu­sa­gen Zwei-Nut­­zungs-Sys­­te­­me zu erlau­ben. Bloß besteht ein Nie­der­moor kei­nes­wegs nur aus Was­ser, son­dern aus einer kom­ple­xen Lebens­ge­mein­schaft aus Pflan­zen und Tie­ren, die sich unter Foto­­­vol­­ta­ik-Anla­­gen nun ein­mal nicht so präch­tig ent­wi­ckeln können.
Kurz und gut, was bleibt außer Resi­gna­ti­on? Eigent­lich nur noch das alte Rezept, das der Natio­nal­park­ver­ein seit 30 Jah­ren, auch gegen Wider­stän­de des ver­be­am­te­ten Natur­schut­zes in Pots­dam, durch­ge­setzt hat: Der Natur­schutz muss künf­tig ein gleich­be­rech­tig­ter Mit­spie­ler im kapi­ta­lis­ti­schen Kon­kur­renz­kampf um die begrenz­te und begehr­te Flä­che wer­den, leis­­tungs- und durch­set­zungs­stark, aber gemein­nüt­zig, im Gegen­satz zu sei­nen eigen­nüt­zi­gen Kon­kur­ren­ten um die Flä­che. Das ist sein Allein­stel­lungs­merk­mal, mit die­sem Pfun­de muss er wuchern. Die­ser Kampf wird, wie jeder Kampf um begrenz­te Res­sour­cen, mit har­ten Ban­da­gen geführt, da wird einem nichts geschenkt. Aber er ist, wie es die ehe­ma­li­ge Bun­des­um­welt­mi­nis­te­rin Ange­la Mer­kel, wenn sie es denn so for­mu­liert hät­te, sicher ger­ne sagen wür­de, alternativlos.

Dr. rer. nat. Ans­gar Vössing
stellv. Vor­stands­vor­sit­zen­der